Die Schattenseite der GLP1-Agonisten
Abnehmspritzen
wie Wegovy und andere GLP-1-Agonisten haben das Potenzial, signifikanten
Gewichtsverlust zu ermöglichen, doch die Realität zeigt ein ernüchterndes Bild:
Über die Hälfte der Nutzer bricht die Behandlung innerhalb des ersten Jahres
ab. Diese hohe Abbruchquote wirft wichtige Fragen zur nachhaltigen
Gewichtsreduktion und den Herausforderungen in der praktischen Anwendung dieser
innovativen Medikamente auf.
Die von der
Universität Aarhus durchgeführte Analyse dänischer Gesundheitsdaten offenbart
strukturelle Probleme in der Langzeitbehandlung mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten.
Die Erkenntnisse sind für Trainer und Fitnessberater von besonderer Relevanz,
da sie das komplexe Zusammenspiel zwischen medikamentöser Unterstützung und
Lifestyle-Interventionen verdeutlichen.
Ohne eine
kontinuierliche Behandlung ist eine schnelle Gewichtszunahme praktisch
unvermeidlich, was die Bedeutung einer ganzheitlichen Betreuung unterstreicht.
Diese Dokumentation analysiert die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu
Abbruchgründen, demografischen Unterschieden und den Auswirkungen einer
unterbrochenen Therapie auf das Körpergewicht.
Die
umfassende dänische Studie unter der Leitung von Reimar Thomsen von der
Universität Aarhus untersuchte die Daten von rund 77.000 erwachsenen
Erstnutzern ohne Diabetes, die zwischen Dezember 2022 und Oktober 2023 mit der
Wegovy-Behandlung begonnen hatten. Die Ergebnisse sind alarmierend: Mehr als
die Hälfte der Patienten, etwa 40.000 Personen, verwendeten das Medikament nach
einem Jahr nicht mehr.
Besonders
besorgniserregend ist die Tatsache, dass 18 Prozent der Nutzer bereits
innerhalb der ersten drei Monate die Behandlung abbrachen. Dies deutet darauf
hin, dass viele Patienten bereits in der kritischen Anfangsphase, in der sich
der Körper an das Medikament gewöhnt und erste Erfolge sichtbar werden sollten,
aufgeben.
„Diese Abbruchquote ist besorgniserregend, da diese Medikamente nicht als vorübergehende Schnelllösung gedacht sind", betont Hauptautor Thomsen. „Damit sie wirksam sind, müssen sie langfristig eingenommen werden." Diese Aussage unterstreicht ein fundamentales Missverständnis vieler Nutzer bezüglich der Natur dieser Therapie.
Die
Studienergebnisse bestätigen internationale Trends und wurden von Experten wie
Anja Hilbert vom Universitätsklinikum Leipzig als repräsentativ eingestuft. Die
hohe Fallzahl und die systematische Erfassung über nationale
Gesundheitsregister verleihen den Erkenntnissen besondere Aussagekraft für die
klinische Praxis.
Kosten
als Hauptbarriere: Der finanzielle Faktor
Die
prohibitiv hohen Kosten stellen sich als primärer Grund für die hohen
Abbruchquoten heraus. In Deutschland kosten GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie
Semaglutid und Tirzepatid zur reinen Gewichtsreduktion mehrere hundert Euro pro
Monat. Da die gesetzlichen Krankenkassen diese Kosten für die Gewichtsreduktion
in der Regel nicht übernehmen, müssen Patienten die finanzielle Belastung
selbst tragen.
Die
dänischen Daten liefern klare Evidenz für den Zusammenhang zwischen
sozioökonomischem Status und Behandlungsabbruch: Nutzer aus einkommensschwachen
Gebieten brachen die Behandlung mit einer um 14 Prozent höheren
Wahrscheinlichkeit ab als Menschen aus einkommensstarken Gegenden. Diese
Disparität verdeutlicht, wie finanzielle Barrieren den Zugang zu innovativen
Therapien einschränken.
Frank Tacke
von der Charité Berlin bestätigt die Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse auf
Deutschland: „Die dänischen Ergebnisse sind sehr wahrscheinlich prinzipiell auf
Deutschland übertragbar, mit ähnlichen Abbruchraten und Barrieren, solange
Kosten, Erstattung und strukturierte Begleitprogramme nicht verbessert
werden."
Interessant
ist der Vergleich zur Diabetes-Behandlung: Hier liegt die Abbrecherquote in
Deutschland erheblich niedriger, vermutlich unter 20 Prozent, da das Medikament
von den Krankenkassen erstattet wird und in niedrigerer Dosierung mit weniger
Nebenwirkungen eingesetzt wird. Dies unterstreicht die Bedeutung der
Kostenerstattung für die Therapietreue.
Demografische
Unterschiede: Alter, Geschlecht und Einkommen
Die Analyse
offenbart signifikante demografische Unterschiede in den Abbruchmustern. Das
Alter erweist sich als bedeutsamster Prädiktor: 18- bis 29-jährige Nutzer
brechen die Behandlung mit einer um 48 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ab
als die Referenzgruppe der 45- bis 59-Jährigen. Diese drastische Differenz
lässt sich durch mehrere Faktoren erklären.
Jüngere
Patienten verfügen typischerweise über geringere finanzielle Ressourcen und
können sich die teuren Medikamente weniger leisten. Zusätzlich haben sie laut
Verhaltensmedizinerin Hilbert meist eine noch nicht so schwer ausgeprägte
Adipositas, wodurch der subjektive Leidensdruck und damit die Motivation zur
Fortsetzung der Therapie geringer sein könnte.
Auch
geschlechtsspezifische Unterschiede sind evident: Männer brechen die Behandlung
mit einer um 12 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ab als Frauen. Das
Forscherteam um Thomsen führt dies darauf zurück, dass Männer möglicherweise
unzufriedener mit den erzielten Ergebnissen sind, da GLP-1-Rezeptor-Agonisten
bei ihnen im Allgemeinen schlechter wirken als bei Frauen.
Hilbert
ergänzt eine weitere wichtige Dimension: Männer zeigen allgemein ein weniger
ausgeprägtes Gesundheitsverhalten, was sich in geringerer Therapietreue und
weniger konsequenter Umsetzung von Lifestyle-Interventionen manifestieren kann.
Diese Erkenntnisse sind für Trainer besonders relevant, da sie
geschlechtsspezifische Betreuungsansätze nahelegen.
Der
Jojo-Effekt: Gewichtszunahme nach Therapieabbruch
Die
Konsequenzen eines Therapieabbruchs von GLP-1-Agonisten sind wissenschaftlich
umfassend dokumentiert und in ihrer Ernüchterung deutlich: Die therapeutischen
Effekte auf Appetitkontrolle, Sättigungsgefühl und Stoffwechsel gehen nach
Beendigung der Behandlung vollständig verloren. Aktuelle Studien, darunter eine
detaillierte Analyse in „BMC Medicine“, zeigen, dass bereits ab der 8. Woche
nach Therapieende ein signifikanter und kontinuierlicher Anstieg des
Körpergewichts einsetzt.
Die
messbaren Daten belegen diesen Trend präzise: Nach nur 10-12 Wochen ohne
Medikation ist ein durchschnittlicher Gewichtszuwachs von etwa 1,5 bis 1,76 kg
zu verzeichnen. Dies entspricht in der Regel einer Wiederzunahme von 3-5
Prozent des während der Therapie verlorenen Körpergewichts. Langzeitstudien,
wie die Follow-up-Analyse der „STEP 1“-Studie, verdeutlichen, dass Patienten,
die die Medikation absetzten, innerhalb eines Jahres durchschnittlich zwei
Drittel ihres mühsam verlorenen Gewichts wieder zunahmen. Der Körper reagiert
nach Absetzen der GLP-1-Agonisten mit einer physiologischen „Gegensteuerung“,
die den Appetit stimuliert und den Stoffwechsel anpasst, um das ursprüngliche
Gewicht wiederherzustellen.
Diese rasche
und oft frustrierende Gewichtszunahme stellt die Nachhaltigkeit medikamentöser
Gewichtsreduktion infrage. Die Erkenntnis verdichtet sich, dass GLP-1-Agonisten
womöglich lebenslang eingenommen werden müssen, um das erreichte reduzierte
Gewicht dauerhaft zu halten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, diese
Medikamente als Teil einer chronischen Therapie und nicht als temporäre
Intervention zu verstehen.
Für Trainer
und Fitnessberater ist dies eine zentrale Botschaft: Begleitende und dauerhafte
Lifestyle-Interventionen – insbesondere im Hinblick auf Ernährungsumstellung
und regelmäßige körperliche Aktivität – sind nicht nur während der
Medikamenteneinnahme von entscheidender Bedeutung, sondern vor allem auch
präventiv für den Fall eines Therapieabbruchs. Die Rückfallquote ist dramatisch
hoch, wenn keine tiefgreifende und dauerhafte Lebensstiländerung etabliert
wird, was die Rolle von umfassenden Coaching-Ansätzen untermauert.
Vielfältige
Anwendungsbereiche von GLP-1-Agonisten: Weit über die Gewichtsreduktion hinaus
GLP-1
(Glucagon-like Peptide-1)-Rezeptor-Agonisten, wie Semaglutid und Tirzepatid,
gehören zur Klasse der Inkretin-Mimetika und wurden ursprünglich zur Behandlung
des Typ-2-Diabetes entwickelt. Ihr Wirkmechanismus ist komplex und umfasst die
glucoseabhängige Stimulation der Insulinsekretion, die Suppression der
Glukagonfreisetzung, die Verlangsamung der Magenentleerung sowie eine direkte
Wirkung auf das Sättigungszentrum im Gehirn. Diese multifaktoriellen Effekte
erklären ihren Erfolg bei der Blutzuckerregulierung und, zunehmend, bei der
signifikanten Gewichtsreduktion durch eine verstärkte Appetitkontrolle und ein
verbessertes Sättigungsgefühl.
In
Deutschland ist Semaglutid seit Februar 2018 unter dem Handelsnamen Ozempic für
die Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen, typischerweise in Dosierungen von
0,25 mg, 0,5 mg, 1,0 mg und 2,0 mg wöchentlich. In Studien zeigte es eine
durchschnittliche HbA1c-Reduktion von 1,5-1,8%. Seit Juli 2022 ist es zudem
unter dem Namen Wegovy zur Gewichtsregulierung bei Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m²)
oder Übergewicht (BMI ≥ 27 kg/m²) mit mindestens einer gewichtsbedingten
Begleiterkrankung zugelassen. In der STEP 1-Studie führte die 2,4 mg Dosis von
Semaglutid zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von ca. 15-17% des
Ausgangsgewichts über 68 Wochen. Tirzepatid, ein dualer
GIP/GLP-1-Rezeptor-Agonist (Handelsname Mounjaro), erhielt im September 2022
die Zulassung für Typ-2-Diabetes und im November 2023 für
Adipositas/Übergewicht in Europa. Es wird in Dosen von 2,5 mg bis 15 mg
wöchentlich verabreicht und erzielte in der SURMOUNT-1-Studie sogar einen
Gewichtsverlust von bis zu 22,5% bei der höchsten Dosis.
Die
Forschung geht jedoch weit über diese etablierten Indikationen hinaus. Aktuelle
Studien untersuchen das immense Potenzial dieser Substanzklasse in weiteren
medizinischen Feldern:
Kardiovaskuläre
Gesundheit: Die
SELECT-Studie (2023, mit über 17.600 Teilnehmern) zeigte, dass Semaglutid
(Wegovy) bei übergewichtigen oder adipösen Personen mit vorbestehender
Herz-Kreislauf-Erkrankung das Risiko schwerwiegender kardiovaskulärer
Ereignisse (wie Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod) um 20%
reduzierte. Dies unterstreicht einen direkten kardioprotektiven Effekt
unabhängig vom Gewichtsverlust.
Nieren-
und Lebererkrankungen:
GLP-1-Agonisten zeigen vielversprechende Ergebnisse bei der Reduzierung des
Fortschreitens chronischer Nierenerkrankungen bei Diabetikern. Die FLOW-Studie
zu Semaglutid bei chronischer Nierenerkrankung wurde vorzeitig wegen
Wirksamkeit gestoppt und bestätigte eine signifikante Reduktion der
Nierenerkrankungsprogression und des kardiovaskulären Todesrisikos. Auch bei
der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) werden positive Effekte auf
die Leberfibrose und Steatose untersucht, teilweise durch Reduktion der
Insulinresistenz und des Gewichts.
Obstruktive
Schlafapnoe:
Vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass GLP-1-Agonisten durch
Gewichtsverlust die Schwere der obstruktiven Schlafapnoe reduzieren können.
Aktuell laufen Phase-3-Studien, die diesen Zusammenhang präziser quantifizieren
sollen.
Neuropsychiatrische
Anwendungen:
Besonders faszinierend sind Studien zu Auswirkungen auf das Gehirn. Forscher
untersuchen, ob GLP-1-Agonisten bei Suchterkrankungen (z.B. Alkohol- und
Nikotinabhängigkeit) und Depressionen helfen könnten, indem sie Belohnungspfade
im Gehirn modulieren und neuroinflammatorische Prozesse beeinflussen.
Präklinische und frühe klinische Daten deuten auch auf ein Potenzial bei
neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer hin, wo sie eine
neuroprotektive Rolle spielen und Entzündungsprozesse reduzieren könnten.
Mehrere Studien (z.B. LIRA-PRIME für Alzheimer) befinden sich in frühen Phasen.
Diese breite
Palette möglicher Indikationen verdeutlicht das therapeutische Potenzial der
Substanzklasse. Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass noch viele Fragen
zu möglichen Langzeitfolgen und der optimalen Anwendungsdauer für diese neuen
Indikationen offen sind. Die kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung durch
umfassende Langzeitstudien ist unerlässlich, um das volle Sicherheitsprofil und
die nachhaltige Wirksamkeit dieser Präparate in allen Anwendungsbereichen zu
verstehen.
Konsequenzen
für die Praxis: Ganzheitliche Betreuungskonzepte
Die Erkenntnisse über GLP-1-Agonisten haben weitreichende Implikationen für medizinisches Fachpersonal, Ernährungsberater, Trainer und Fitnessberater. Die hohen Abbruchquoten und die schnelle Gewichtszunahme nach Therapieende unterstreichen die Notwendigkeit ganzheitlicher Betreuungskonzepte, die über die reine medikamentöse Behandlung hinausgehen.
Eine
wegweisende Erkenntnis aus der Kopenhagener Studie von Lundgren et al. (2021)
untermauert diese Notwendigkeit. Die Studie mit 195 Teilnehmern über 52 Wochen
zeigte, dass die Kombination aus Liraglutid (3,0 mg) und einem strukturierten
Krafttrainingsprogramm zu einem signifikanten Gewichtsverlust von
durchschnittlich 16,88 kg führte. Entscheidend dabei war, dass diese
kombinierte Therapie im Gegensatz zu Liraglutid allein die Knochendichte an
Hüfte und Wirbelsäule erhalten konnte. Liraglutid allein bewirkte eine
signifikante Reduktion der Knochendichte im Vergleich zum Training allein. Die
Studie belegte somit, dass die Kombination die effektivste Strategie für
Gewichtsverlust bei gleichzeitigem Knochenerhalt darstellt. Für Trainer
bedeutet dies: Krafttraining ist kein optionaler Zusatz, sondern ein
essentieller Bestandteil zur Muskel- und Knochenerhaltung während einer
GLP-1-Therapie.
Strukturierte
Begleitprogramme müssen entwickelt werden, die Patienten nicht nur während der
Medikamenteneinnahme, sondern auch bei einem eventuellen Therapieabbruch
unterstützen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen medizinischen
Fachkräften, Ernährungsberatern und Fitnesstrainern, um nachhaltige
Lebensstiländerungen zu etablieren.
Besondere
Aufmerksamkeit sollte vulnerablen Gruppen gelten: jungen Erwachsenen, Männern
und Personen mit niedrigerem Einkommen, die statistisch häufiger die Behandlung
abbrechen. Für diese Gruppen müssen spezifische Motivations- und
Unterstützungsstrategien entwickelt werden, die ihre besonderen
Herausforderungen berücksichtigen.
Die
Realität zeigt: GLP-1-Agonisten
sind mächtige Werkzeuge, aber sie wirken nicht dauerhaft ohne begleitende
Maßnahmen. Erfolgreiche Gewichtsreduktion erfordert eine Kombination aus
medikamentöser Unterstützung, strukturierter Ernährungsumstellung und
regelmäßiger körperlicher Aktivität. Nur durch diese integrierte
Herangehensweise können die hohen Abbruchquoten reduziert und nachhaltige
Erfolge erzielt werden.

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