Optimale Proteinzufuhr für Muskelaufbau bei untrainierten älteren Frauen im Krafttraining
Die Studie von Ribeiro et al. (2025) untersucht den Zusammenhang zwischen täglicher Proteinzufuhr und Muskelaufbau bei älteren Frauen während eines strukturierten Krafttrainingsprogramms. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Proteinzufuhr von mindestens 1,1 g pro Kilogramm Körpergewicht täglich optimal für den Muskelaufbau ist, wobei höhere Mengen keinen zusätzlichen Nutzen bringen.
Diese
Erkenntnisse sind besonders relevant für die Prävention von altersbedingtem
Muskelverlust (Sarkopenie) und die Entwicklung evidenzbasierter
Ernährungsempfehlungen für die geriatrische Bevölkerung.
Hintergrund und Relevanz der Proteinzufuhr im Alter
Der altersbedingte Verlust von
Skelettmuskelmasse (SMM) stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko für ältere
Menschen dar. Mit zunehmendem Alter kommt es physiologisch zu einer
progressiven Abnahme der Muskelmasse bei gleichzeitiger Zunahme des
Körperfettanteils. Diese Veränderung der Körperzusammensetzung erhöht das
Risiko für Gebrechlichkeit, Mobilitätseinschränkungen und den Verlust der
Selbstständigkeit, was die Lebensqualität älterer Menschen maßgeblich
beeinträchtigen kann.
Die
Pathophysiologie des altersbedingten Muskelverlusts ist multifaktoriell
bedingt, wobei die verminderte anabole Reaktion auf Nahrungsprotein eine
zentrale Rolle spielt. Diese als "anabole Resistenz" bekannte
Veränderung beschreibt die reduzierte Fähigkeit älterer Muskulatur, auf
proteinreiche Nahrung mit einer adäquaten Steigerung der Muskelproteinsynthese
zu reagieren.
Dadurch
verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Muskelproteinabbau und -aufbau
zugunsten des Abbaus. Krafttraining (Resistance Training, RT) gilt als
effektive Intervention, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Es stimuliert
die Muskelproteinsynthese und kann die anabole Resistenz teilweise überwinden.
Die
aktuellen Leitlinien für die Proteinzufuhr bei älteren Erwachsenen gehen über
die allgemeine Empfehlung von 0,8 g/kg Körpergewicht/Tag hinaus und befürworten
höhere Mengen zwischen 1,2 und 1,8 g/kg/Tag, um die Muskelgesundheit zu
erhalten. Interessanterweise deutet die Forschung darauf hin, dass
Krafttraining die anabole Effizienz bei älteren Menschen verbessern kann, was
bedeutet, dass trainierte ältere Erwachsene möglicherweise Aminosäuren aus der
Nahrung effektiver für den Muskelaufbau nutzen können.
Dies wirft
die Frage auf, ob trainierte ältere Menschen einen anderen Proteinbedarf haben
als untrainierte. Bislang fehlten jedoch methodisch fundierte Studien, die den
spezifischen Proteinbedarf untrainierter älterer Frauen im Kontext eines
strukturierten Krafttrainingsprogramms untersuchen. Diese Forschungslücke ist
besonders relevant, da Frauen aufgrund ihrer im Durchschnitt längeren
Lebenserwartung und geringeren Muskelmasse im Vergleich zu Männern einem
höheren Risiko für Sarkopenie ausgesetzt sind. Die Studie von Ribeiro et al.
(2025) adressiert diese wichtige Fragestellung und liefert evidenzbasierte
Daten zur optimalen Proteinzufuhr für ältere Frauen, die mit dem Krafttraining
beginnen.
Methodik
und Studiendesign
Die
Untersuchung wurde im Rahmen der Active Aging Longitudinal Study durchgeführt,
einer prospektiven Kohortenstudie, die den Einfluss eines überwachten
progressiven Krafttrainingsprogramms auf gesundheitsrelevante Parameter bei
älteren Frauen evaluiert.
Das
methodische Vorgehen zeichnet sich durch eine sorgfältige Konzeption aus, die
mehrere Aspekte der Trainings- und Ernährungsphysiologie integriert.
Teilnehmerinnen
und Einschlusskriterien
Die Studie
umfasste 97 ältere Frauen mit einem Durchschnittsalter von 68,6 Jahren. Die
Einschlusskriterien wurden präzise definiert, um eine repräsentative Stichprobe
untrainierter älterer Frauen zu gewährleisten: - Mindestalter von 60 Jahren -
Vollständige körperliche Selbstständigkeit im Alltag - Keine klinisch
relevanten kardiovaskulären Erkrankungen - Keine orthopädischen
Einschränkungen, die das Training beeinträchtigen könnten - Keine regelmäßige
Trainingsroutine in den sechs Monaten vor Studienbeginn - Adherence von
mindestens 85% der Trainingseinheiten während der Interventionsphase.
Diese
stringenten Kriterien ermöglichten es, den spezifischen Effekt der
Proteinzufuhr bei bisher untrainierten älteren Frauen zu isolieren und
potenzielle Konfundierungsfaktoren zu minimieren.
Krafttrainingsprogramm
Das
implementierte Krafttrainingsprogramm erstreckte sich über 24 Wochen mit drei
Trainingseinheiten pro Woche. Das Protokoll folgte den Prinzipien des
progressiven Widerstandstrainings und umfasste acht sorgfältig ausgewählte
Übungen für die Hauptmuskelgruppen des Körpers: 1. Beinpresse (untere
Extremität) 2. Beinstrecker (Quadrizeps) 3. Beinbeuger (hintere
Oberschenkelmuskulatur) 4. Brustpresse (Pectoralis) 5. Latissimuszug (breiter
Rückenmuskel) 6. Armcurls (Bizeps) 7. Trizepsstrecker 8. Bauchübungen (Rektusmuskulatur).
Die
Trainingsintensität und -progression wurden systematisch gesteuert, beginnend
mit drei Sätzen zu 10-15 Wiederholungen bei moderater Intensität in den ersten
vier Wochen. Anschließend erfolgte eine sukzessive Steigerung auf drei Sätze zu
6-8 Wiederholungen bei höherer Intensität in den letzten Trainingswochen.
Dieses Vorgehen entspricht den aktuellen Empfehlungen für effektives
Krafttraining im höheren Alter.
Erfassung
der Körperzusammensetzung und Proteinzufuhr
Zur präzisen
Quantifizierung der Körperzusammensetzung kam die Dual-Röntgen-Absorptiometrie
(DXA) zum Einsatz, ein Goldstandard-Verfahren in der Forschung zur
Körperkompositionsanalyse. Die Messungen erfolgten vor Beginn der Intervention
sowie nach Abschluss der 24-wöchigen Trainingsphase. Erfasst wurden: -
Gesamtkörpergewicht - Skelettmuskelmasse (SMM) - Körperfettmasse - Prozentuale
Anteile von Muskel- und Fettgewebe.
Die Erhebung
der Nahrungsproteinzufuhr erfolgte mittels validierter
24-Stunden-Ernährungsprotokolle, die zu drei verschiedenen Zeitpunkten zu
Beginn und zum Ende der Studie durchgeführt wurden. Diese Mehrfacherhebung
ermöglichte die Berechnung der habituellen Proteinaufnahme unter
Berücksichtigung intraindividueller Schwankungen.
Die
Auswertung der Ernährungsdaten erfolgte durch erfahrene
Ernährungswissenschaftler unter Verwendung standardisierter
Nährwertdatenbanken. Statistische
Analyse
Die
statistische Auswertung umfasste mehrere komplexe Verfahren, um den
Zusammenhang zwischen Proteinzufuhr und Veränderungen der Körperzusammensetzung
detailliert zu analysieren: 1. Korrelationsanalysen zur Bestimmung der Stärke
und Richtung des Zusammenhangs zwischen Proteinzufuhr und Muskelzuwachs 2.
Lineare Regressionsmodelle zur Quantifizierung des Effekts 3. Segmentierte
Regressionsanalysen zur Identifikation potenzieller Schwellenwerte 4.
Adjustierte Modelle zur Kontrolle von Störvariablen wie Kohlenhydrat- und
Gesamtenergieaufnahme Dieser methodisch fundierte Ansatz ermöglichte es, nicht
nur einen linearen Zusammenhang zu prüfen, sondern auch nichtlineare
Beziehungen zu identifizieren und damit einen potenziellen Schwellenwert der
Proteinzufuhr zu bestimmen, ab dem kein zusätzlicher Nutzen für den
Muskelaufbau zu erwarten ist.
Ergebnisse
und Interpretation
Die
24-wöchige Krafttrainingsintervention führte bei den 97 untrainierten älteren
Frauen zu signifikanten Verbesserungen der Körperzusammensetzung. Im
Durchschnitt nahm die Skelettmuskelmasse (SMM) um beachtliche 4,8% zu, während
gleichzeitig eine Reduktion des Körperfettanteils um 3,4% verzeichnet wurde.
Diese Veränderungen bestätigen zunächst die grundsätzliche Wirksamkeit eines
strukturierten Krafttrainingsprogramms zur Verbesserung der
Körperzusammensetzung im höheren Alter. ## Proteinzufuhr und Skelettmuskelwachstum.
Die
durchschnittliche Proteinzufuhr der Teilnehmerinnen lag bei 1,04 g pro
Kilogramm Körpergewicht pro Tag, wobei eine erhebliche interindividuelle
Variabilität festgestellt wurde (Bereich: 0,63 bis 1,65 g/kg/Tag).
Diese
Heterogenität ermöglichte eine differenzierte Analyse des Zusammenhangs
zwischen unterschiedlichen Proteinmengen und dem Muskelzuwachs. Die bivariate
Korrelationsanalyse ergab eine statistisch signifikante positive Korrelation
zwischen der täglichen Proteinzufuhr und der prozentualen Zunahme der
Skelettmuskelmasse (r = 0,23; p = 0,022). Dies deutet darauf hin, dass höhere
Proteinzufuhrmengen mit größeren Zuwächsen an Muskelmasse assoziiert sind.
Die
entscheidende Erkenntnis der Studie stammt jedoch aus der segmentierten
Regressionsanalyse, die einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen Proteinzufuhr
und Muskelzuwachs offenbarte. Die Analyse identifizierte einen Schwellenwert
bei etwa 1,1 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag.
Bis zu
diesem Wert war ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen der
Proteinzufuhr und dem Muskelzuwachs erkennbar. Bei Proteinzufuhrmengen oberhalb
dieses Schwellenwerts flachte die Kurve jedoch ab, und es war kein weiterer
Zuwachs an Muskelmasse durch zusätzliche Proteinzufuhr nachweisbar.
Die
statistische Robustheit dieses Schwellenwerts wurde durch verschiedene
Sensitivitätsanalysen bestätigt, bei denen auch nach Kontrolle für potenzielle
Störvariablen wie Kohlenhydrat- und Gesamtenergieaufnahme der identifizierte
Schwellenwert von ca. 1,1 g/kg/Tag stabil blieb.
Proteinzufuhr
und Körperfettreduktion
Im Gegensatz
zum Muskelzuwachs zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der
Proteinzufuhr und Veränderungen des Körperfettanteils (r = −0,01; p = 0,934).
Dies deutet darauf hin, dass die Reduktion des Körperfetts in dieser Population
primär durch das Krafttraining selbst und möglicherweise durch andere
Ernährungsfaktoren, nicht aber durch die absolute Proteinmenge beeinflusst
wird.
Die Daten
ergaben auch bei der segmentierten Regressionsanalyse keinen signifikanten
Breakpoint für die Beziehung zwischen Proteinzufuhr und Veränderungen der
Fettmasse. Dies unterstreicht die differenzielle Regulation von Muskelaufbau
und Fettabbau im Kontext von Krafttraining und Proteinzufuhr.
Physiologische
Interpretation
Die
ermittelten Ergebnisse zur Proteinzufuhr lassen sich physiologisch schlüssig
erklären: Der identifizierte Schwellenwert von 1,1 g/kg/Tag scheint die Menge
darzustellen, bei der die Aminosäurenverfügbarkeit für die
Muskelproteinsynthese bei älteren Frauen unter Krafttraining optimal ist.
Unterhalb
dieses Werts limitiert möglicherweise die unzureichende Proteinzufuhr die
maximale Stimulation der Muskelproteinsynthese, während oberhalb dieses Werts
offenbar keine weitere Steigerung des anabolen Signals mehr erfolgt. D
Diese
Beobachtung steht im Einklang mit dem Konzept der "anabolen
Schwelle", das besagt, dass eine bestimmte Mindestmenge an Aminosäuren
erforderlich ist, um die Muskelproteinsynthese maximal zu stimulieren. Die
Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei untrainierten älteren Frauen, die ein
Krafttrainingsprogramm beginnen, diese Schwelle bei etwa 1,1 g Protein pro
Kilogramm Körpergewicht pro Tag liegt.
Quellen:
Ribeiro,
Alex S.1; Alencar da Silva, Jefferson2; Kassiano, Witalo3; Stavinski, Natã3;
Martinho, Diogo1; Antunes, Melissa3; Cyrino, Letícia T.3; Sugihara Júnior,
Paulo3; Fernandes, Rodrigo R.3; Santos, Aline P.3; Rodrigues, Ricardo J.3;
Aguiar, Andreo F.2; Cyrino, Edilson S.3. Is There a Minimum Protein Intake
Associated With Resistance Training to Optimize Skeletal Muscle Mass Gains in
Untrained Older Women?. Journal of Strength and Conditioning Research 39(7):p
730-735, July 2025. | DOI: 10.1519/JSC.0000000000005104
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