Entspannen wo andere Druck haben- das Urban Sports Dilemma

 

Digitale Plattformen wie Urban Sports Club verändern den Fitnessmarkt rasant. Viele kleine Studios fürchten, dass der neue Boom zu ihren Lasten geht.

Fünfmal pro Woche geht Wiona Schefe ins Fitnessstudio. Beim Ausdauersport Spinning oder beim Krafttraining möchte sie sich "wirklich auspowern", sagt die Social-Media-Managerin aus Hamburg. Weil sie aber beruflich viel unterwegs ist, wären mehrere Fitness-Mitgliedschaften in verschiedenen Städten viel zu teuer. Deswegen ist Schefe bei Urban Sports Club: Dort zahlt sie monatlich 99 Euro – so viel kann auch ein einzelnes herkömmliches Studio kosten –, kann aber in Tausenden Studios im In- und Ausland trainieren, die mit dem Berliner Unternehmen kooperieren.

Urban Sports Club ist eine digitale Vermittlungsplattform ohne eigene Räume oder Sportgeräte. Firmenchef Moritz Kreppel sagte einmal, die Idee sei, "Menschen zu inspirieren, gesünder und aktiver zu leben". Dahinter steht – ebenso wie bei den Konkurrenten ClassPass, EGYM Wellpass, Hansefit und Wellhub – ein plausibel klingendes Geschäftsmodell: Sportbegeisterte bekommen über die Plattform mehr Trainingsstätten zur Auswahl, können dort einzelne Kurse buchen. Studiobetreiber finden darüber neue Kunden, die sie sonst nie erreichen würden.

Seit einigen Jahren erobern die Plattformen den Fitnessmarkt. Doch inzwischen wird deutlich, dass sich nicht alle Kooperationspartner als Gewinner betrachten. In manchen Muckibuden riecht es mittlerweile nach Angstschweiß.

Hansefit, EGYM Wellpass und Wellhub bieten ausschließlich Firmenfitness an, Mitglied wird man über die Personalabteilung seines Arbeitgebers. Bei ClassPass und Urban Sports Club hingegen kann man sich auch als Einzelperson registrieren. Urban Sports Club verlangt dann je nach Abo-Modell zwischen 24 und 159 Euro im Monat. Im Angebot sind neben Fitness auch Bouldern, Surfen, Reiten, Kampfsport, Pilates und Dutzende weitere Sportarten. "Das hat den Markt ganz klar verändert", sagt Christoph Breuer, Professor für Sportökonomie an der Sporthochschule Köln. Zielgruppe seien hauptsächlich gebildete Freizeitsportler, die gern mal etwas Neues ausprobieren und lange Vertragslaufzeiten scheuen.

Der deutsche Fitnessmarkt hat fast wieder das Niveau von vor der Pandemie erreicht und setzte nach Berechnungen der Beratungsfirma Deloitte im vergangenen Jahr 5,4 Milliarden Euro um. In den gut 9.100 Fitnessanlagen hierzulande trainieren demnach elf Millionen Menschen, zehn Prozent mehr als im Jahr davor.

Vor allem Ketten profitierten davon, stärker wuchsen allerdings die auch Aggregatoren genannten Plattformen: Die Zahl ihrer Mitglieder stieg um ein Drittel auf 726.000.

Der Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen teilt mit, dass Ende 2023 bereits 69 Prozent der Fitnessbetriebe mit mindestens einem Plattformbetreiber zusammenarbeiteten – sechs Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.

Die Kette Fitnessfirst kooperiert gleich mit mehreren Anbietern und empfindet das als "positive Ergänzung und Aktivierung", wie ein Sprecher sagt. Der Zuwachs an Kunden und Umsatz beweise das. Urban-Sports-Club-Chef Kreppel sieht sich bestätigt: Die hohen Werbeausgaben seines Unternehmens hätten dazu beigetragen, den gesamten Sportmarkt zu vergrößern und neue Mitglieder zu gewinnen. Außerdem nehme man den Studios viel administrative Arbeit ab, "damit sich diese auf ihre Passion konzentrieren können, nämlich auf den Sport".

Doch längst nicht alle Partner betrachten die Kooperation mit den Fitness-Plattformen als Erfolg. Vor allem kleinere Anbieter in Großstädten fürchten deren wachsende Macht. Die ZEIT hat in den vergangenen Wochen mit mehr als zwanzig von ihnen gesprochen: Schwimmbäder, Boxstudios, Kampf- und Tanzschulen, Boulder- und Tennishallen, Yoga- und Fitnessstudios.

Claudia Dahnelt betreibt ein Yogastudio in der Frankfurter City und kooperiert mit mehreren Plattformen. Doch der erhoffte Ansturm neuer Kunden sei ausgeblieben. "Bei Urban Sports Club habe ich mir irgendwann gedacht, das kann doch nicht sein, dass so wenig Leute kommen", sagt die Unternehmerin. Andere Studio-Inhaber berichten Ähnliches. Alle vermuten, dass gerade in Ballungsräumen die Auswahl an Sportangeboten so umfangreich sei, dass der einzelne Anbieter kaum etwas davon habe. Zugleich aber werde es schwieriger, außerhalb der immer beliebter werdenden Plattformen überhaupt neue Kunden zu erreichen.

Derlei Kritik an ihrem Geschäftsmodell weisen Urban Sports Club, ClassPass, Wellhub, EGYM Wellpass und Hansefit unisono zurück.

Ebenso unklar ist, wie die Partnerstudios an ihren Einnahmen beteiligt werden. Offenbar variieren die Auszahlungen von Fall zu Fall. "Ein Luxusstudio mit Schwimmbad hat natürlich ganz andere Kosten als eine Laufgruppe im Park", sagt Urban-Sports-Club-Chef Kreppel.

ClassPass verwendet nach eigenen Angaben "Dynamic Pricing" bei der Beteiligung der Partner. "Dahingehend können wir für die Studios tatsächlich den Umsatz maximieren und gleichzeitig deren Direktkunden und das direkte Business beschützen", sagt Laura Semrau, die für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Südeuropa verantwortliche Managerin.

Nicht alle befragten Partnerstudios wollten verraten, was sie ihrerseits von den Plattformen bekommen. Einige gaben jedoch Auskunft zur Praxis bei Urban Sports Club.

 Geld erhalten sie demnach nur dann, wenn ein Nutzer tatsächlich "eincheckt" – also nicht nur einen Kurs in der App bucht, sondern auch tatsächlich erscheint.

Das brachte bei einer Tanzschule jeweils acht Euro, eine Schule für Kampfsport erhielt sieben Euro.

Die meisten Yogastudios bekamen ebenfalls um die acht Euro, wenn der Teilnehmer über einen der digitalen Vermittler zu ihnen kam. Zum Vergleich: Bei eigenen Kunden, die oft durch Mitgliedschaften gebunden sind, rechneten die Studios mit 15 bis 20 Euro pro Besuch – also grob dem Doppelten.

An dieser Stelle wird es aus Sicht der Anbieter kritisch. Denn je mehr Menschen sich über Plattformen nach Sportangeboten umsehen, desto schwieriger werde es für sie, eigene, umsatzträchtigere Mitglieder zu gewinnen.

Das bestätigt Melanie Ibrahimi, die seit 2020 ein Yogastudio in Stuttgart betreibt und mit Urban Sports Club, ClassPass, Wellhub und EGYM Wellpass kooperiert. "Ich kann da nicht raus und kündigen, weil ich dadurch einfach sichtbarer bin", sagt die Unternehmerin.

Viele der befragten Partnerstudios fühlen sich zudem nicht ausreichend unterstützt und kritisierten die Unterschiede bei der Qualität des Kundendienstes. Hansefit kam bei den Sportstudios auffallend gut weg, dort gebe es in jeder Region einen persönlichen Ansprechpartner.

Urban Sports Club hingegen soll weniger zuverlässig sein. "Der Support ist eine Katastrophe", sagt Melanie Ibrahimi, die das Yogastudio in Stuttgart betreibt. Alles laufe ausschließlich über E-Mail.

Oft würde auf ein Anliegen gar nicht reagiert, etwa wenn es um Fragen zur Abrechnung gehe.

Plattform-Chef Kreppel kann das nachvollziehen: "Da wollen wir auf jeden Fall noch besser werden, das ist intern gerade ein großes Thema." Bei 13.000 Studios in ganz Europa sei der persönliche Kontakt nun mal nicht immer leicht. "Aber ich glaube, wir sind da auf einem ganz guten Weg, beim Partnersupport noch stärker zu werden."

Hat das womöglich damit zu tun, dass die jungen Unternehmen zu schnell zu groß geworden sind und vom eigenen Erfolg überrascht wurden?

Vor allem in den letzten Jahren ist Urban Sports Club stark gewachsen, kaufte Konkurrenten wie OneFit und expandierte ins Ausland. Mittlerweile ist das Unternehmen auch in den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Österreich und der Schweiz vertreten.

Die Mitgliederzahl verrät es aber nicht. Als jüngster Konzernumsatz sind 96 Millionen Euro für 2022 ausgewiesen – und ein Verlust in Höhe von 51 Millionen Euro.

Ein ökonomischer Selbstläufer ist das Geschäftsmodell trotz seiner Plausibilität also nicht, wie Christoph Breuer von der Sporthochschule Köln vermutet: "Nicht nur Urban Sports Club, sondern auch vergleichbare Anbieter schaffen relativ mühelos verschiedene Finanzierungsrunden, haben aber am Ende des Tages doch Mühe, Profitabilität auszuweisen."

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