Omas Muskeln müssen brennen
Wer älter ist, sollte härter trainieren, um dem Schwund der Muskelkraft entgegenzuwirken. Denn wer im Alter nicht genug Muskeln hat, dem droht der Verlust der Selbständigkeit. Wie sieht das richtige Training aus?
Männer, die ihre überproportional großen Muskeln in winzigen
Achselshirts zur Schau stellen – keuchend und schwitzend. In der Luft ein Mix
aus abgestandenem Schweiß und Deodorant. Dazwischen: pubertäre Männlichkeit in
Grüppchen. Krafttraining ist in den Köpfen vieler Menschen noch immer mit
solchen Bildern verknüpft. Unter jungen Menschen erlebt Krafttraining jedoch
auch dank reichweitenstarker Fitnessinfluencer mit muskulösen Armen, Rücken und
Hintern gerade einen neuen Hype. Dabei könnten vor allem Ältere von wachsender
Muskelkraft profitieren.
Vom 30. Lebensjahr an verliert der Mensch jedes Jahr etwa
ein Prozent seiner Muskelmasse. Deren Anteil sollte bei gesunden Frauen
mindestens 30, bei Männern 35 bis 40 Prozent betragen. Wer im Alter nicht genug
Muskeln hat, dem droht der Verlust der Selbständigkeit. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, zwei Mal pro Woche Kraft und
Muskeln zu trainieren. Aber kann wirklich jeder unabhängig von Alter,
Gesundheitszustand und Körpergewicht mit dem Pumpen anfangen?
„Definitiv“, sagt Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln.
Der 66 Jahre alte Sportwissenschaftler und Bestsellerautor warnt seit Jahren
vor den körperlichen Folgen von Muskelschwund. Die sogenannte Sarkopenie, also
der altersbedingte Abbau von Muskulatur, sei ein maßgeblicher Treiber für viele
weitere Erkrankungen und führe irgendwann auf direktem Wege in die
Pflegebedürftigkeit, so Froböse. Diesem natürlichen Prozess so früh wie möglich
entgegenzuwirken sei „wahre Achtsamkeit“.
Während in den Fitnessstudios nach dem typischen
Jahreswechsel-Durchhänger, der sich in der Regel ab Ende Februar einstellt, nun
fleißig auf den Sommer und die Badesaison hintrainiert wird, hadern viele schon
wieder mit ihren guten Vorsätzen. Zu groß das Angebot an Geräten und Übungen,
zu unrealistisch die zur Schau gestellten Körperideale. Froböse empfiehlt
trotzdem das Training in einem Studio. „Das gibt Sicherheit. Und bei Fragen
kann man sich immer an einen Mitarbeiter wenden“, sagt er. Gerade Anfänger müssen
lernen, Übungen korrekt auszuführen. Wer Bewegungsabläufe einmal falsch
abspeichert und immer wieder falsch ausübt, kommt sehr viel langsamer an sein
Ziel.
„Kommen Sie in den ersten ein, zwei Monaten erst mal in eine
grundsätzliche Trainierbarkeit“, sagt Froböse. Er meint damit: Bewegungen
ausführen, kontrollieren und wiederholen. Froböse nennt das „Muskeln wieder
harmonisieren“.
Etwa zum Beispiel so:
Setzen Sie sich auf die äußere Stuhlkante und bewegen Sie Ihren Oberkörper wie
ein Pendel abwechselnd nach vorne und hinten. Wichtig ist, dass der Oberkörper
dabei angespannt und kontrolliert bleibt. In einer zweiten Stufe wiederholen
Sie das Ganze am Boden, die Beine sind im 90-Grad-Winkel aufgestellt.
Anspruchsvoller wird es, wenn man sich auf den Bauch dreht, Beine und Arme
ausgestreckt anhebt und sie in kurzen Hick-Hack-Bewegungen hoch und runter bewegt.
Den Krauler, nennt Froböse das. Um den Fokus wieder vom Rücken auf den Bauch zu
lenken, einfach wieder auf den Rücken drehen und in die unsichtbaren Pedale
treten. Dieser „Bicycle Twist“ ist auch für die seitliche Bauchmuskulatur
wichtig.
Nach dieser ersten Phase müsse man sich aber recht schnell
steigern, sagt Froböse: „Muskeln müssen brennen, damit sie wachsen!“ Also doch
bis zum Muskelversagen wie die ächzenden Bodybuilder? „Nicht unbedingt. Das
kommt auf das jeweilige Trainingsziel an. Aber dreißig bis vierzig Prozent der
Maximalkraft sollten es schon sein, um einen Muskelreiz zu setzen. Zu viele
untrainierte Menschen können nur sechzig Prozent ihres Muskelvolumens überhaupt
rekrutieren“, sagt Froböse. Erschreckende Zahlen, vor allem mit Blick auf den
natürlichen Schwund.
„Es muss eine klare Muskelerschöpfung eintreten. Sätze mit
25 Wiederholungen machen da keinen Sinn“, sagt Froböse. Das bedeutet grob: Wer
am Ende eines Satzes mit acht bis zwölf Wiederholungen keine eindeutige
Erschöpfung des Muskels spürt, muss das Gewicht erhöhen. Und: Je älter die
Menschen werden, desto höher muss auch die Belastungsintensität sein. Es ist
also wichtig, im fortgeschrittenen Alter 60, 70 oder sogar 80 Prozent der
Maximalkraft mithilfe von höheren Gewichten abzurufen. Auch wenn die Zahl der
Wiederholungen damit sinkt. Im Alter muss also nicht leichter, sondern umso
härter trainiert werden.
Froböses Lieblingsübung ist die Kniebeuge. Sie gehört zu den
Grundübungen im Krafttraining, ist in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen
umsetzbar und trainiert einen Bewegungsablauf, der auch fest im Alltag
integriert ist – beim Hinsetzen oder beim Bücken. Bei der Kniebeuge sind die
Füße schulterbreit aufgestellt, die Fußspitzen zeigen leicht nach außen, der
Rücken bleibt gerade, während wir die Knie beugen und uns mindestens in einem
90-Grad-Winkel dem Boden nähern. Zu Beginn lässt sich die Beuge besonders gut
an der Wand ausführen.
Im ambitionierten Kraftsport wird empfohlen, noch weiter
runterzugehen, allerdings braucht es dafür auch eine gute Mobilität der
Fußgelenke. Anfänger bleiben bei 90 Grad und drücken sich dann aus den Fersen
wieder nach oben. Brennen sollte es dann in Oberschenkel und Gesäß. Wer dieses
Hinsetzen und Aufstehen (ohne die Hände zu benutzen) nicht fünf Mal innerhalb
von 15 Sekunden schafft, so Froböse, besitze ein hohes Risiko, in den nächsten
zwei Jahren pflegebedürftig zu werden. Das belegten Studien.
Die Kniebeuge gibt es in zahlreichen Variationen. Wer sich
steigern will, nimmt Gewicht dazu, zum Beispiel eine Langhantel. Übliche
Langhanteln, wie sie auch in Fitnessstudios zum Einsatz kommen, wiegen 20
Kilogramm. Wer stetig trainiert, wird sich schnell steigern und die Hantel mit
zusätzlichem Gewicht beladen können. Auch der Ausfallschritt, im Krafttraining
„Lunge“ (englisch ausgesprochen) genannt, ist eine gute Variation. Man kann ihn
nach vorne und nach hinten machen. Am Anfang ohne und später mit Gewicht. Wer
das Gefühl einer Langhantel auf dem Trapezius, also dem oberen, die Schultern
stabilisierenden Rückenmuskel, nicht mag, kann alternativ auch zwei Kurzhanteln
in die linke und rechte Hand nehmen.
Übergewicht oder Rückenprobleme seien grundsätzlich keine
Hindernisse für Krafttraining, sagt Froböse. „Wir wissen inzwischen, dass 80
bis 90 Prozent der Rückenbeschwerden muskulär bedingt sind. Da hat die
Bandscheibe erst mal nichts mit zu tun.“ Auch Gelenkprobleme seien eher ein
weiterer Grund, sich erst recht zu bewegen: „Das Schlimmste, was man bei einer
Gelenkerkrankung machen kann, ist Schonung. Schmerz braucht Bewegung“, sagt
Froböse. Wichtiger sei während der Übungen, auf die Herz-Kreislauf-Reaktion zu
achten und ruhig weiter zu atmen, um Schwindel zu vermeiden.
Wer gegen sein Übergewicht auf das Laufband oder den Stepper
steigt, um erst mal Gewicht zu reduzieren, liegt laut Froböse übrigens einem
gewaltigen Irrtum auf. Er sagt: „Mit Ausdauertraining nimmt man nicht ab. Dafür
ist die Belastung viel zu gering.“ Die Aufgabe des Trainings sei eine völlig
andere: „Es geht darum, das Orchester, eine Harmonisierung des Körpers
wiederherzustellen. Wer lediglich gegen das Fett ankämpft, wird verlieren.
Fettzellen sind negative Impactgeber, die senden entzündungsfördernde Botenstoffe
aus. Muskelzellen hingegen sind positive Impactgeber, sie schütten Myokine aus,
die die inneren Organe stimulieren und die Durchblutung anregen“, sagt Froböse.
Die Herausforderung bestehe also darin, das Verhältnis der einzelnen
Komponenten zueinander wieder ins Gleichgewicht zu bringen und so den Körper
dazu zu bringen, auch im Ruhezustand grundsätzlich mehr Energie zu verbrennen.
Nicht zu vergessen ist dabei der Einfluss einer
kalorienreduzierten und ausgewogenen Ernährung. Die Kombination aus einem
angeregten Stoffwechsel und einer angepassten Ernährung lässt dann die Pfunde
schmelzen – manchmal kann man dabei regelrecht zuschauen. Menschen, die „skinny
fat“ sind, also auf den ersten Blick schlank, aber mit einem überproportional
hohen Fettanteil, seien „metabolisch ungesund“, sagt Froböse. Frauen seien
davon besonders häufig betroffen: „Die haben sich heruntergehungert und sind stolz
auf ihre dünnen Arme und Beine, aber den kleinen dicken Ring um die Körpermitte
werden sie nicht los. Diese fünf Kilo Fett, die werden sie niemals wegbekommen.
Weil sie dem keine Muskelmasse entgegenstellen“, sagt Froböse.
Muskelmasse ist 13 Prozent schwerer als Fett und besteht aus
roten und weißen Muskelfasern. Die kleinen roten lassen den Menschen ein Glas
heben oder die Spüle putzen. Die großen weißen machen schnell und verhindern
Stürze. Und ausgerechnet diese gehen bei älteren Menschen mehr und mehr
verloren. Parallel dazu nimmt das Körpergewicht oft zu – die Ausgangsbasis für
eine eingeschränkte Selbständigkeit. „Ältere Menschen müssen die weißen
Muskelfasern zurückführen“, sagt Froböse. Das gehe nur mit intensivem Training.
Auch wenn es auf der Waage erst einmal nach oben geht.
Kraftsport galt lange als Männerdomäne – Männer in der
Freihantelecke, Frauen im Kardiobereich. Doch seit einigen Jahren lässt sich
ein Wandel beobachten. Immer mehr Frauen trauen sich an die schweren Gewichte.
Influencerinnen machen den Sport durch ihre Präsenz auf Tiktok oder Instagram
nahbarer, und ihre Ästhetik prägt eine ganze Generation. Das hat nicht nur
Vorteile, macht den Sport aber bekannter und beliebter. „Und er hilft dabei,
auch ein hormonelles Gleichgewicht herzustellen“, sagt Froböse. „Hormonschwankungen
sind bei Weitem nicht so gravierend, wenn wieder mehr Testosteron als
Gegenspieler zum Östrogen produziert wird.“
Um das Krafttraining so effektiv wie möglich zu gestalten,
sollte auf eine angemessene Regeneration und auf die entsprechenden Botenstoffe
geachtet werden. 72 Stunden Pause empfiehlt Froböse für Anfänger, 48 Stunden
für Fortgeschrittene. Was aber nicht bedeutet, dass in der Zwischenzeit nicht
trainiert werden dürfe. Die Regenerationszeit bezieht sich nur auf die
beanspruchten Muskelgruppen. So könne man an einem Tag zum Beispiel die Muskeln
des Oberkörpers und am nächsten die des Unterkörpers trainieren. Profis
trainieren meist jene Gruppen, die bei bestimmten Übungen zusammenarbeiten.
Wer also an drei Tagen in der Woche Kraft trainieren möchte
und nicht ganz bei null anfängt, kann beispielsweise an Tag eins Brust,
Schultern und Trizeps, an Tag zwei Rücken und Bizeps und an Tag drei Beine und
Gesäß beanspruchen. Das alles ist aber nur effizient, wenn zugleich darauf
geachtet werde, ausreichend Protein zu sich zu nehmen, sagt Froböse. Ohne
Training ist ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht nötig, wer trainiert braucht
etwa 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Dazu kommt ein Kalorienüberschuss,
um Masse aufzubauen. 100 Kilokalorien mehr als üblich sollten es schon sein,
empfiehlt Froböse.
Shakes und Supplemente wie Kreatin seien unproblematisch –
sofern sie aus dem Reformhaus oder der Apotheke stammen und nicht kontaminiert
seien, also eine hohe Qualität besitzen. Zu viele Menschen nähmen viel zu wenig
Protein zu sich, so der Wissenschaftler: „Das darf man nicht dem Zufall
überlassen, und da hilft auch nicht mal eben eine Spaghetti Bolognese oder ein
Hamburger.“ Insbesondere ältere Menschen seien unterversorgt, dabei sei die
Zufuhr gerade nach Operationen und Krankheit für den Wiederaufbau der Muskeln
essenziell: „Geben Sie Oma im Pflegeheim einfach mal einen Shake statt Graubrot
mit billigem Honig!“, sagt Froböse.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wer sich als gesunder Mensch
ausgewogen ernährt und nur in seiner Freizeit Sport treibt, braucht in der
Regel weder spezielle Nahrungsergänzungsmittel noch eine erhöhte Zufuhr von
Protein und Co.
Ausgewogen essen und viel bewegen – das klingt erst mal
leicht umsetzbar. Dabei entscheidet aber auch die Art der Bewegung über ihren
Erfolg. „Ein kleiner Spaziergang ist schön, reicht aber nicht. Sie brauchen
einen Reiz“, sagt Froböse. Heißt: erhöhte Atem- und Herzfrequenz. Die
Obergrenze liege bei 180 minus Lebensalter. Die meisten Menschen kämen im Alter
kaum mehr über einen Puls von 100. Froböse vergleicht das mit einem Auto, das
auch hin und wieder mal auf der Autobahn gefahren werden sollte. Froböse empfiehlt:
„Laufen, ohne zu schnaufen.“ Sich also nicht bis zur Atemnot verausgaben, das
Herz-Kreislauf-System aber trotzdDazu rät Froböse allen, sich zu Beginn kleine
Ziele zu setzen, die man in einer Zeitspanne von sechs Wochen erreichen kann.
Zum Beispiel zwei Kilogramm Gewicht zu verlieren oder zwei Kilometer am Stück
zu laufen. „Wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, belohnen Sie sich mit einem neuem
T-Shirt oder etwas Ähnlichem, und gehen Sie dann Ihr Ziel für die nächsten
sechs Wochen an.“
Helfen könne zudem, die Sporttasche schon mit zur Arbeit zu
nehmen, statt den Umweg über die Wohnung und damit vielleicht über eine kurze
Pause auf dem Sofa machen zu müssen. „Wenn man einmal sitzt, wird es schwer“,
sagt Froböse. Deshalb empfiehlt er, sich einen klaren Zeitplan zu machen und
den Sport als Routine in den Alltag einzubauen.em hochtourig laufen lassen.
Froböse selbst treibt sechs Mal die Woche Sport, an zwei
oder drei Tagen Kraftsport und fünf Ausdauereinheiten. Dabei wechselt er
zwischen Laufen (eine Stunde) und Radfahren (40 Minuten). Am siebten Tag
unternehmen er und seine Frau meist lange Spaziergänge. Ein enormes Pensum.
Froböse selbst sieht das ganz anders: „Die Woche hat 168 Stunden. Wenn ich neun
Stunden in der Woche Sport treibe, sind das vielleicht fünf Prozent meiner
Zeit. Das sollte ich mir wert sein. Das ist wahre Achtsamkeit.“
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